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Texte zu Landarbeit
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Eckdaten zu LandArbeit
Ulrich Weber
Was hat LandArbeit denn mit Naturschutz zu tun?


Anlass und Konzeption von Landarbeit

Nicht nur in der Hildesheimer Region ist der Naturschutz signifikant in eine agrikulturell geprägte Kulturlandschaft eingebettet. Mitteleuropäische Landschaft ist durch langjährige Nutzung geformt und gestaltet. Zu den natürlichen Landschaftselementen, die durch Relief, Gesteine und Böden, das Abflussregime oder die natürlichen Lebensgemeinschaften präsent sind, treten hier die durch den Menschen geprägten Kultur-Formen hinzu, nämlich Äcker, Wiesen, Waldnutzungen, Siedlungen und andere Infrastruktureinrichtungen. Kulturlandschaft ist gekennzeichnet durch spezifische Eigenart und Vielfalt; dieses macht sie unverwechselbar, erlebbar und wiedererkennbar, mitunter wird sie als harmonisch und schön empfunden. Kulturlandschaft ist angefüllt von Traditionen, Schicksalen, Geschichte und Geschichten. Diese künden von Zivilisation, Kultur, Traditionen, Dorfgemeinschaften, Familien – den Menschen, die über Generationen dort leben, wirtschaften und gestalten. Kulturlandschaft ist der Boden und das Nährsubstrat, das Archiv und die ästhetische und räumliche Erlebnisdimension von Heimat.

Auch und insbesondere heute stehen wir in der Verantwortung, diese über Jahrhunderte entstandene Kulturlandschaft weiter zu entwickeln, ihre Werte zugleich pfleglich zu behandeln und zu bewahren. Dieses setzt voraus, dass wir über den Dialog mit unserem Lebensfeld auch ständig unsere eigenen Wertehaltungen, Bedürfnislagen und Handlungen reflektieren, also planerisch und vorausschauend unseren Lebensraum gestalten. Dieses ist die kulturelle Leistung, die Kulturlandschaft lebendig erhält und die übrigens auch den Naturschutzgedanken umfasst. Neben ökonomischen Beweggründen, die Landschaftsgestaltung und Landnutzung auslösen, sind es traditionell auch ästhetische Motive, die Kulturlandschaft gestalten und prägen. Auch das Innerstetal zeigt eine starke ästhetisch motivierte Durchgestaltung, welche zuletzt durchgreifend in der Epoche der Aufklärung vorgenommen wurde, z.B. durch die Anlage von Parks, Alleen oder Sichtachsen.

Das Projekt LandArbeit will die Auseinandersetzung und Hinwendung moderner Menschen zu ihrer "Alltagslandschaft" bzw. ihrer (physikalischen) Heimat anstoßen. Es soll das Bewusstsein für die Relevanz menschlich-kultureller Tätigkeit im unmittelbaren Lebensumfeld schärfen sowie zu eigener Aktion und Tätigkeit als aktiv gestaltendes Individuum animieren. Das geht weit hinaus über die üblichen Grußworte oder Appelle an vermeintliche Zielgruppen. LandArbeit ist eine Einladung und Aufforderung an ein ortsverbundenes Publikum, sich selbst in der Eingebundenheit sozialer, kultureller und landschaftlicher Werte zu erleben. Aus der Entwicklung und Stärkung der individuellen Heimat-Kompetenzen kann neue Lebensqualität entstehen oder eine bestehende Lebensqualität nachhaltig verbessert werden. Dieses setzt sich um zum einen über eine sensibilisierte Wahrnehmung vorhandener Qualitäten des sozialen und räumlichen Umfeldes (Heimat), zum anderen in Erwerb und Praxis eigenständiger Kreativität und Gestaltungskompetenz. Bewusst bedient sich LandArbeit weniger der Alltagssprache als vielmehr künstlerischer und im Wesentlichen nonverbaler Kommunikationsformen, indem aus der landschaftlichen und sozialen Umgebung inspirierte Kunstobjekte gezielt in einem ausgewählten Landschaftsraum  umgesetzt werden sollen (hier: Dorf und unmittelbare Umgebung Heinde). Weiterhin sind neben den bildenden auch darstellende Kunstformen wie Theater, Literatur und Musik einbezogen.


Naturschutz und Heimatpflege als gesellschaftliches Handlungsfeld

Die gemeinsamen Wurzeln von Naturschutz und Heimatpflege in Deutschland liegen im Bildungsbürgertum des 19ten Jahrhunderts. Die heute zumeist getrennt wahrgenommenen Disziplinen haben sich mit dem Prozess der Demokratisierung und unter dem zunehmenden Einfluss kapitalistischer Marktordnung fortschreitend auseinanderentwickelt. Während sich der heute vorwiegend wissenschaftlich argumentierende Naturschutz, so wie auch der Denkmalschutz, eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz verschaffen konnte, haftet der Heimatpflege der ideologische Missbrauch durch die Nationalsozialisten noch immer an. Die Heimatpflege hat es nicht vermocht ihre Positionen nachhaltiger zu vertreten, weil ihre Argumentationsbasis oftmals nicht oder nur unbefriedigend in das gesellschaftlich präferierte wissenschaftlich-rationale bzw. operationalisierbare Wertesystem einzubinden war. Heimatpflege argumentiert traditionell mit emotionalen, ästhetischen oder ethischen Werthaltungen, die grundsätzlich mit dem Verdacht individueller Subjektivität behaftet sind.

Auch heute befinden sich Naturschutz und Heimatpflege jedoch wieder oder noch immer in der vergleichbaren Situation, dass die jeweiligen Anliegen nicht (mehr) ausreichend im gesellschaftlichen und politischen Diskurs bekannt, anerkannt und damit auch nicht im wünschenswerten Umfange durchsetzbar sind. Die Ursachen liegen maßgeblich auch in einem langjährigen Defizit der Kommunikationspraxis, die es nicht ausreichend vermochte, die Schutz- Pflege- und Entwicklungsbedürftigkeit unserer gewachsenen natürlichen und kulturellen Umwelten als eine umfassende, gelebte und lebenswerte gesellschaftliche wie auch politische Aufgabe zu etablieren. Es zeigt sich zunehmend, dass weder ein verwissenschaftlichter und mit behördlicher Autorität ausgestatteter Naturschutz noch ein mit Pathos, Ideologie oder Emotionen befrachteter Heimatgedanke verständlich, glaubwürdig und mehrheitsfähig vertreten werden können.

Ein Umdenken und ein Wieder-Aufeinanderzugehen von Naturschutz und Heimatpflege hat tendenziell bereits eingesetzt, wie es z.B. die aktuelle Diskussion eines modernen, "entstaubten" Heimatbegriffes zeigt. Für beide Disziplinen könnten sich im Zusammenrücken durch die Erweiterung der jeweiligen Argumentationsbasis tatsächlich Effizienz und Durchsetzbarkeit der jeweils vertretenen Anliegen erhöhen. Die Naturschutzdisziplin könnte durch das Bekenntnis zu emotionalen und ästhetischen Inhalten wie auch Beweggründen an Glaubwürdigkeit gewinnen. Gleichermaßen könnte die Heimatpflege durch die Stärkung empirisch-wissenschaftlicher Argumentation eine Akzeptanzförderung erfahren.

Die grundsätzliche Relevanz und die mit Ernsthaftigkeit zu betreibenden Aufgaben von Naturschutz und Heimatpflege gebieten jedoch auch eine entsprechende Wahl der geeigneten Argumentationsfelder und Kommunikationsmittel. Die Natur- und Denkmalschutzgesetze von Bund und Ländern bieten in ihren Zielkatalogen mit Aussagen zu Erholungseignungen, Zugang zur Landschaft, Landschaftsbild und historische Kulturlandschaften bereits legaldefinierte Handlungsfelder an, die von beiden Disziplinen gleichermaßen und im Zusammengehen abgedeckt werden können. Es kann jedoch genausowenig um die Artikulation postmoderner Beliebigkeiten wie um die Vertretung von Partikularinteressen etwa von im Lokalen verhafteten Heimatvereinen oder Vertriebenenverbänden gehen.


Kulturlandschaft als Indikator gesellschaftlicher Befindlichkeiten

Die bewusste, kreative und gestaltende Auseinandersetzung mit der Umwelt ist das herausragende Wesensmerkmal menschlicher Zivilisation und Kulturtätigkeit. Diese hat den menschlichen Siedlungsraum entscheidend durchgeprägt. Die aufgrund der verfügbaren technischen Möglichkeiten sowie aus den kulturellen Bedürfnissen erzielten planerischen und technischen Ausdrucksformen sind Ergebnisse steten Ringens zur Überwindung naturgegebener Herausforderungen und Grenzen. Die maßgeblich aus natürlichen Phänomenen inspirierten ästhetischen Erscheinungsformen des kulturellen Wirkens prägen bis heute das Erscheinungsbild unserer unmittelbaren Lebensumwelt. Die über Jahrtausende und aus verschiedenen Kultur- sowie Zivilisationsstufen entstandene Kulturlandschaft ist somit die lebendige Dokumentation sowohl menschlicher Betätigung und Kulturtätigkeit als auch Zeugnis ethischer und ästhetischer Grundhaltungen. Insbesondere auch künstlerische Ausdrucksformen waren und sind als Mittel zur Kommunikation und zur Positionierung gesellschaftlicher Wertvorstellungen prädestiniert.

Bereits aus dem Altertum sind landschaftsgestaltende Objekte erhalten geblieben, die über die Umsetzung unmittelbarer lebenspraktischer Erfordernisse hinausgehend spirituell und künstlerisch motiviert waren. Kultstätten, Labyrinthe, Grabstätten oder Megalithe sind in ihrer Formensprache und künstlerischen Artikulation auch heute noch für moderne Menschen weitgehend erlebbar und interpretierbar. Agrikulturelle Innovationen des Mittelalters förderten die flächendeckende Besiedlung und Nutzung der Landschaft. In dieser Phase entstand die äußere Raumbildung und Gliederung unserer heutigen Kulturlandschaft mit Siedlungsplätzen, Fluren und Wäldern. Erst mit der Epoche der Aufklärung beginnt die noch heute maßgebliche wissenschaftlich, theologisch, ideologisch und künstlerisch reflektierte Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Lebensumwelt als Ganzheit. Als Erweiterung des Kulturbegriffes tritt zur mittelalterlichen Agrikultur eine geistig-intellektuelle Kultur immer mehr in den Vordergrund. Mit der Herausbildung von Bürgertum und, damit verbunden, später dem Liberalismus werden Bild und Erscheinung mehr oder weniger natürlicher Umwelten im Begriff der "Landschaft" zum Gegenstand wissenschaftlicher und intellektueller Betrachtungen sowie der gestaltenden Künste; so wird spätestens jetzt die Gestaltung von Gärten und z.T. auch der Landschaft als Kunstform etabliert. In der Neuzeit schließlich erlauben Wohlstand und Bildungsniveau, dass Landschaftsteile großflächig aus ausschließlichen oder überwiegenden ästhetischen Beweggründen heraus in künstlerischer Artikulation gestaltet werden.

Die auf die ökonomische Wertschöpfung ausgerichtete Landnutzung (Agrikultur) weist in unserem Kulturkreis eine weit zurückreichende und durchgängige Tradition auf. Unter dem Einfluss der Industrialisierung von landwirtschaftlicher Produktion und Methoden verursachte sie jedoch erst in den letzten Jahrzehnten wesentlich die Verarmung ästhetischer und biologischer Vielfalt von Kulturlandschaft. Gleichzeitig geht zunehmende Kommerzialisierung von Gesellschaft und Individuen zwangsläufig einher mit der Verwahrlosung und Verarmung individueller ästhetischer und kreativer Fähigkeiten, gewissermaßen einem Verlust an Bildung und Wahrnehmungsfähigkeit. Damit wandelt sich für das Individuum wie für die Allgemeinheit auch maßgeblich das "innere" Bild der Landschaft, welches den Zugang der Menschen zu ihrer natürlichen und kulturellen Lebensumwelt darstellt.

In der modernen und postmodernen Gesellschaft gründet sich eine ethische oder ästhetische Auseinandersetzung mit den Phänomenen unmittelbarer Lebensumwelt bzw. Landschaft auf verschiedene Motivationen. Derzeit ist festzustellen, dass die der Natur- und Umweltschutzbewegung des ausgehenden 19ten Jahrhunderts zugrundeliegende konservative und gleichwohl ästhetische Betrachtungsweise und Werthaltung rückläufig ist. Hingegen überwiegt derzeit eine problemorientierte und rationale Sichtweise, die sich verstärkt naturwissenschaftlich-technisch artikuliert. Gleichzeitig gewinnt eine inzwischen weltumspannende ökonomische Diktion einen sehr maßgeblichen Einfluss auf die Interpretation, die Gestaltung und das Erscheinungsbild von Lebensumfeld und Kulturlandschaft.

Heute dominieren in Landschaft und Siedlung bereits die Artefakte konsumgeprägter Anspruchshaltungen und wahrnehmungsgestörten Umweltverhaltens. Das Vordringen von im Landschaftskontext maßlosen Infrastruktureinrichtungen und Zweckbauten ist ebenso bedrohlich wie bedauerlich. Bedenklich sind die "Verwüstungen", welche moderne Landwirtschaft in der natürlichen Lebensumwelt anrichtet; ebenso die fortschreitende Zersiedlung der freien Räume. Ebenso kritikwürdig sind auch die Exponate eines auf "Verhübschung" angelegten Verständnisses von kultureller Ausgestaltung öffentlichen Raumes welche sich in trendbewusster und beliebiger Möblierung von Dörfern und Landschaft wiederfinden. Stadt und Dorf wie auch die freie Landschaft werden so nicht nur der Merkmale eigenständiger Identität und historischer Kontinuität beraubt, es verschwinden gleichzeitig auch die Identifikationspunkte, an welche die Menschen ihre Orts- und Landschaftsverbundenheit, ihre kulturelle und soziale Herkunft wie auch Zugehörigkeit anknüpfen können. Wo dieses geschieht, kann Heimat nicht mehr gelebt werden sondern sie wird zum Objekt von Konsum und Kommerz.


LandArbeit als Zukunftsaufgabe

Symptome einer derzeit auszumachenden gesellschaftlichen Vertrauenskrise zeigen sich u.a. in zunehmender Verunsicherung des Individuums, in Politikverdrossenheit sowie dem (psychologischen) Zerfall des Gemeinwesens. Dies äußert z.B. auch sich darin, dass und wie Partikularinteressen unverfrorenen gegen das Gemeinwohl durchgesetzt werden. Gleichzeitig fördert ein genauso vermeidbares wie inflationäres staatliches Regelungsbedürfnis die Entmündigung des Individuums. Tendenziell werden Diskussion und Entwicklung gesellschaftlichen Konsens und Verantwortlichkeiten zunehmend in Gesetze und Regelwerke verlagert. Im Gegenentwurf hierzu wird deshalb aktuell von vielen Seiten eine Steigerung individueller Kompetenzen in einer BürgerInnen-Gesellschaft, verbunden mit einer Stärkung des Ehrenamtes eingefordert.

Die von LandArbeit angestrebte Verbindung/Konfrontation zeitgenössischer Kunstwerke mit dörflichem/landschaftlichem Lebensumfeld bildet Anlass und Grundlage für daran anknüpfende Diskussions- und Bewusstseinsprozesse. Dieses erfordert, initiiert und fördert auch die kooperative und fachliche Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und Gruppierungen und soll diese auch über die Projektlaufzeit hinaus lebendig erhalten. Es bieten sich vielfältige Möglichkeiten, verschiedene Belange aus den Themenfeldern Umwelt, Natur, Heimat, Bildung, Kunst und Kultur aufzubereiten, darzustellen und zu diskutieren.

Für die zukunftsfähige Weiterentwicklung von Naturschutzstrategien bzw. Kulturlandschaft beinhaltet LandArbeit die Aufforderung und Erlaubnis, physikalische Heimat, Siedlung und Landschaft komplex und auch ästhetisch zu denken und (mit-) zu gestalten. Dieses ist im gesellschaftlichen Kontext einer auf kapitalistischer Wirtschaftsordnung, Humanismus und Werten der Aufklärung gegründeten Demokratie bislang allzu oft versäumt oder es ist dem Bereich verklärter Heimattümelei (Folklorismus) zugeschrieben worden. Eine Neuorientierung ist längst überfällig. Die Herausforderungen der heutigen Zeit sind breit und im Geiste echter Partizipation angelegte Regionalkonferenzen und Bürger-Beteiligungen im Rahmen der ländlichen Planungen und der Zuteilung von Fördergeldern aus europäischen Strukturfonds. Europas Regionen definieren sich neu, abseits der vorhandenen (und überkommen) Vorurteile sowie den Staats- und Verwaltungsgrenzen. Landschaftliche und kulturelle Traditionen werden weiterhin eine tragende Rolle spielen bei der Entwicklung der Leitbilder. Sie sind in die Zukunft zu denken, anzupassen und zu messen an technologischem Fortschritt und den Erfordernissen globalisierter Märkte. Den Naturschützer interessiert hierbei insbesondere, wie sich in diesen Prozessen und mit den eröffneten Möglichkeiten nun Siedlung und Kulturlandschaft hinsichtlich ihrer Potentiale Eigenart und Vielfalt zur (weiterhin) Unverwechselbarkeit und Schönheit entwickeln lassen und wie sie dann identitätsstiftend nach innen wie nach außen in die Regionen hineinwirken.

LandArbeit macht deutlich, dass es zur Herausforderung und Überwindung der allgegenwärtigen Bausparkassenmagazinromantik, der Baumarktästhetik und der vorgeblichen Zwänge rationalisierter landwirtschaftlicher Produktion eines eigenständigen und ständigen Diskurses der kulturellen, ethischen und ästhetischen Anliegen in der Gemeinschaft bedarf. Dieser Diskurs muss im Sinne einer „Erdung“ auch vor Ort geführt werden und bedarf sachkundiger und geduldiger Begleitung. Kulturlandschaft und ihre Fortschreibung entsteht zunächst in den Köpfen ihrer Bewohner, sie lebt aus den Traditionen, den Schicksalen und Geschichten, denen man in ihr begegnet. Wo es gelingt, Kulturlandschaft (und ländliche Siedlung) in diesem Sinne gehaltvoll und entsprechend gestaltvoll zu erhalten und weiterzuentwickeln, ist LandArbeit sichtbar erfolgreich.