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Texte zu Landarbeit
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Eckdaten zu LandArbeit
Christine Biehler
LandArbeit 07 – Kunstprojekt für einen Ort

"Künstlerische Prozesse und Projekte regionaler Kultur- und Medieninitiativen hinterfragen die Identitätskonstruktionen und unterziehen "die Regionalgeschichte" neuen Lesarten. Sie machen die Ausgrenzungen sichtbar, auf denen der homogenisierte Sozial- und Gesellschaftsraum basiert, und kratzen an den erratischen Blöcken vereinheitlichter Überzeugungen und Verhaltensweisen in und für den Raum" [1]

Die Identität stiftende Funktion von Räumen für Gesellschaft und Kultur wird im kulturellen Feld vielerorts genutzt. Interventionen in Ortschaften, die Reflexion und Durchdringung ihres Atmosphärischen, die Schaffung eines spezifischen lokalen Ambientes mittels Kunst ohne die Kunst dabei zu instrumentalisieren, verlangt nach professioneller ästhetischer Kompetenz.

Ausgehend vom Fachgebiet Raum am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft und angeleitet von einem Projektteam, das sich aus Mitarbeitern verschiedener Institute im Fachbereich Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation zusammensetzt, arbeiten Studierende seit Oktober 2006 in verschiedenen Sparten unter dem Titel LandArbeit in Heinde und Umgebung. Sie erarbeiten mit den Menschen vor Ort ein Kunstprojekt, über das die Universität ihre gestalterische Verantwortung in der Hildesheimer Region ernst nimmt und das weit über diese Region hinausweist.


1. Raumarbeit

LandArbeit ist ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum und formuliert einen Beitrag in einer Debatte, die sich um Eckmarken wie der Definition von Öffentlichkeit, der politischen Verantwortung von Kunst im Rahmen gesellschaftlicher Umwälzungen und der Veränderungen von Räumen im Zuge der Dynamik politischer und ökonomischer Zusammenhänge rankt.

Seinem Konzept liegen neuere und kritische Konzepte einer relationalen Raumauffassung zugrunde, in der Raum nicht per se gegeben ist, sondern erst durch die Interaktion von Raumkörpern oder menschlichen Handlungen bestimmt wird. Diese Raumvorstellungen stehen einer naturwissenschaftlich orientierten Behältervorstellung entgegen, die nach wie vor Basis vieler bildhauerischer Positionen ist.

Das relationale Raumkonzept geht davon aus, dass die raum-zeitlichen Lebenszusammenhänge sich in ständiger Veränderung befinden. Ortsbezogene Kunst, die auf diesem Modell gründet, knüpft in Erweiterung einer physischen Ortsspezifität an dem sozialen Feld an. Zum anderen wird nicht für einen mehr oder weniger neutralen Raum "für die Ewigkeit" geschaffen, sondern die Kunst sucht sich eine bestimmte Situation an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Sie taucht auf, um bei den involvierten Menschen nachhaltig Eindruck zu hinterlassen und wieder zu verschwinden.

LandArbeit ist auf der Basis eines Kunstverständnisses konzipiert, das auf einer Erweiterung der künstlerischen (Produktions-) Mittel beruht und eine Intensivierung der Publikumsteilhabe einfordert. Basis ist ein offener Werk- und erweiterter Materialbegriff, der nicht mehr nur autonome materialgebundene Objekte, sondern auch konkrete Alltagshandlungen, Immaterielles und  Reaktionen und Entwicklungen von partizipierenden Personen im künstlerischen Kontext als Werk begreift. Der künstlerische Fokus verschiebt sich von einer Beschäftigung mit Objekten "hin zu einer Beschäftigung mit Subjekten und der Ermöglichung ihrer Teilnahme an Kunstaktivitäten" [2].

Die eingeladenen Künstler und Studierenden der Kulturwissenschaften betreiben eine aktive Auseinandersetzung mit dem Projektraum als gesellschaftlichen Zusammenhang und beziehen das soziale und kulturelle Bezugssystem am jeweiligen Ort in die Planung und Realisierung der künstlerischen Arbeiten mit ein. Nichts wurde vorproduziert, alle Ideen ausschließlich für Heinde und die Region entwickelt.

Die Besonderheit des Kunstprojektes: Die Menschen im Dorf Heinde werden zu Mitspielern und Mitgestaltern von kommunikativen Werkprozessen, durch die bestimmte Beziehungen mit und respektive unter diesen Subjekten geschaffen werden. Das Konzept lässt alle Beteiligten produktiv werden und führt sie zu realen Handlungen mit raumverändernder Kraft.

Durch das gemeinschaftliche soziale Handeln entsteht über die Monate eine Soziale Plastik im Beuys’schen Sinne, die auf die Entwicklung von kreativen Potentialen innerhalb verschiedener persönlicher und spezifisch regionaler Möglichkeiten setzt, Form gewinnt und den Projektraum sichtbar und unsichtbar verwandelt.


2. "Zu Gast in Heinde"
Kooperation und Kommunikation

Die Kommunikation unter allen Beteiligten von LandArbeit ist für das gegenseitige Verständnis und ein Gelingen der Projekte Dreh- und Angelpunkt. In der Umsetzung der Vorhaben stehen für LandArbeit die möglichst aktive Einbeziehung lokaler Beteiligter und die direkte Kommunikation zwischen den Projektträgern und ihren Kooperationspartnern vor Ort im Vordergrund. Die Formen der Kommunikation, gemeinsame Treffen, Partnerschaften u.ä. werden von LandArbeit strukturiert und betreut.

Neben den Kooperationen verschiedener Institute innerhalb der Universität, die der Leitidee eines interdisziplinären Lernens Rechnung tragen, kooperiert LandArbeit mit der Gemeinde, seinen 13 Vereinen, der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Heinde-Listringen und dem Netzwerk Kultur und Heimat Börde & Leinetal e.V. 

An der Nahtstelle von Kunst und Alltagsleben integrieren die Projekte von LandArbeit die Bevölkerung von Heinde in die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und künstlerischen Fragestellungen. Umgekehrt wird LandArbeit in das kulturelle Leben der Gemeinde einbezogen:
Seit Wochen arbeiten der Kindergarten, die Schule, der Schützenverein, der Bläserchor, Kirchenvorstand, Singkreise und weitere Institutionen daran, ein gemeinsames Fest auszurichten. Bei diesem werden nicht nur die kommunikativen und künstlerischen Ergebnisse der künstlerischen Arbeiten gefeiert, sondern zudem das 800jährige Kirchenjubiläum und die Hochzeit des Freiherrn vom Stein, der in der Heinder Kirche getraut wurde. Auftritte der Vereine, die Präsentation der künstlerische Arbeiten durch Führungen, die Nachinszenierung der Hochzeit des Freiherrn und viele weitere Programmpunkte werden in der Festwoche von LandArbeit miteinander verzahnt.

Dieser gemeinsame Veranstaltungsrahmen umreißt die konzeptionelle Spannweite des Vorhabens: Die regionale Verankerung, Selbstdarstellung und -findung in der kulturellen Aktion (cultural performance) einerseits, und deren Reflexion und konstruktive Irritation durch eine künstlerische Intervention andererseits.

Durch die Präsentation des Eigenen wird der Gastgeberstatus der Einwohner ermöglicht und unterstrichen. Die eingeladenen Künstler bringen sich als Gäste in ein von kultureller Tradition und kultureller Praxis reich bestücktes Feld ein. In diesem Verhältnis von Gastgeber zu Gast kann ein Austausch auf gleicher Augenhöhe stattfinden. Beide Seiten begeben sich in einen Dialog, der das eigene kulturelle Selbstverständnis inspiriert und weiterentwickelt.

Der Beitrag der Gastkünstler markiert einen Blick von Außen, der als Gegenpol zur Selbstdarstellung, die sich in den Feierlichkeiten der Region artikuliert, ein diskursives Spannungsfeld zu den Themen kulturelle Identität und Heimat einerseits sowie zur Gestaltung des faktischen und mentalen Raumes andererseits anbietet. Bildende Kunst weist als Medium die notwendige Widerständigkeit und Zuschreibungsfreiheit auf, um die gewünschte Denk- und Kommunikationsbewegung zu provozieren.


3. "Kunst auf dem Land?"
Ein Dorf als Produktionsraum

LandArbeit ist ein Kunstprojekt im ländlichen Raum. Zentrum der Veranstaltung ist die Ortschaft Heinde, 5 Kilometer südöstlich von Hildesheim. Das Dorf liegt in unmittelbarer Nähe zur Domäne Marienburg, dem Standort des Instituts für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft.

Das Vorurteil, dass Kunst der Gegenwart sich in Zentren abspielen muss - der weltoffene kosmopolitische Impuls hier, der rückständige Provinzialismus dort  - wurde zwar im Zuge der Globalisierungsdebatte einer Revision unterzogen, ist aber immer noch eine verbreitete Vorstellung. Wo genau verläuft die Grenze zwischen zentral und peripher? Wer bestimmt, welcher Referenzbereich der Kunst als weltgewandt, welcher als ländlich peripher anzusehen sind?

Abseits der Zentren verbindet das Projekt Kulturarbeit und zeitgenössische Kunstformen mit lokalen Geschichten, Problemstellungen und Eigenheiten und nutzt die spezifische Qualität einer lokalen Öffentlichkeit, die räumlichen Nähe, als künstlerisches Potential.

Daneben ist Deutschland ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hinsichtlich der Dichte der Kunstvereine und -initiativen sehr breit aufgestellt. Ob der Kunstverein Lingen, Erlangen oder Göppingen, ob im Springhornhof oder in Kraichtal  - auch kleinere Kommunen schaffen es, ein exzellentes Programm von internationalem Rang zu etablieren. Diese dezentralistische Ausrichtung macht es einfacher, auch "in der Peripherie" aktiv zu werden und zudem die Topografie von Zentrum und Peripherie als ein gegebenes Diskursraster weiter zu hinterfragen.


4. Die temporäre Gemeinschaft

Das Zustandekommen einer temporären Gemeinschaft war die große Herausforderung und wichtigste Vorraussetzung zum Gelingen des Projektes.

Auch in der existierenden Gruppe der LandArbeiter musste erst ein Gemeinschaftsgefühl, ein spezifisches ‚Wir’ geschaffen werden, damit über einen hohen Grad der gemeinsamen Identifikation von Künstlern, Ortsansässigen und Studierenden ein Projekt solchen Umfangs  erfolgreich umgesetzt werden kann.

Eine Problematik vieler partizipatorischer Projekte liegt in der Beziehung der Künstler und Organisatoren zu den Teilnehmenden und der Qualität der Teilhabe. LandArbeit hat über langfristige Planungen und Kontaktaufnahmen eine Kommunikationsplattform errichtet, die eine hohe Qualität der Mitwirkung möglich werden lies.

Im Vorfeld haben die Initiatoren bereits Schnittstellen geschaffen, beispielsweise Kontakte zu Vereinen aufgenommen. Es gab Bürgerversammlungen und Gespräche mit dem Pfarrer, dem Bürgermeister und Treffen in den ortsansässigen Kneipen. Zur Planung der Festwoche tagen wöchentlich verschiedene Arbeitsgruppen des Festkomitees, die paritätisch mit Universität und Dorf besetzt sind. Die Beteiligten erleben hier konkret das Identifikationspotential, das Kunst besitzt und erfahren, wie Kunst als soziales Bindemittel Gemeinschaft und geistige Anregung schaffen kann.

Alle sind gefordert: Dorf, Studenten, Universität, alle mussten lernen, aufeinander zuzugehen, sich zu respektieren, Bedürfnisse und Wünsche wahr- und ernst zu nehmen und unter Einbindung ihrer jeweiligen fachlichen Kompetenzen Entscheidungsbefugnisse an die Mitglieder der Gemeinschaft abzugeben. Das projektbezogene Überwinden fachbezogener Partikular-Interessen ist gerade im Bereich der Kunst besonders schwierig!

LandArbeit ist also viel mehr als ein Kunstprojekt, dessen "Objekte" betrachtet werden können. LandArbeit ist ein Kommunikations- und Partizipationsprojekt, das von der Neugierde und Aufgeschlossenheit aller Beteiligter – und schließlich auch aller Besucher lebt. In der abschließenden Festwoche vom 1. bis zum 8. Juli kann jeder in Heinde sich davon einen Eindruck verschaffen.

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[1] Raimund Minichbauer: Regionale Strategien. Zu räumlichen Aspekten in der europäischen Kulturpolitik.
http://eipcp.net/policies/minichbauer1/de

[2] Aus: Suzana Milevska: Partizipatorische Kunst – Überlegungen zum  Paradigmenwechsel von Objekt zum Subjekt. In: Springerin 2/2006, S. 18